Wie du dich selbst beim Schreiben entdeckst und entwickelst
„Schreiben“ ist viel mehr als eine Form kreativer Beschäftigung. Es hält für dich Erkenntnisse und inneres Wachstum bereit wie kaum eine andere Form persönlichen Ausdrucks. „Richtig“ angewandt, öffnet es dir Türen in dein Unterbewusstsein, in die Welt deiner Träume und Sehnsüchte – und es verbindet dich mit einer höheren Intelligenz, aus der wir alle entstammen und deren Teil wir sind.
Mit jedem Text, den du schreibst, vertiefst du deine Beziehung zu dir selbst – du lernst dich besser kennen, lotest Tiefen und Untiefen aus und erkennst Zusammenhänge, Ursachen und Hintergründe dessen, was dich bewegt, berührt und ausmacht. Kurz: Dein Schreiben kann dir zeigen, wer du wirklich bist und welches deine besondere Aufgabe ist, die du mit ins Leben gebracht hast.
Das Schreiben entfaltet aber nicht nur Wirksamkeit in dir und für dich. Wenn du deine Texte mit anderen teilst – seien es Skizzen, Kurzgeschichten, Gedichte oder ganze Romane –, nimmst du die Lesenden mit auf eine „dreifache“ Reise:
1. Sie folgen dir auf die Reise in die Geschichte hinein, die du vor ihrem inneren Auge aufbaust – oder, bei autobiografischen Texten, zu den Stationen und Bildern deines Lebens, die du mit ihnen teilst.
2. Du erlaubst ihnen, sich mit dir auf die Reise in dich und zu dir selbst zu machen – denn auch, wenn dein Text rein fiktional ist, wird durch die Art, wie und was du schreibst ein Teil deiner Persönlichkeit sichtbar. Deine eigene persönliche Tiefe überträgt sich immer auf den Text.
3. Und natürlich nimmst du sie auf eine Reise zu sich selbst mit, denn in der Reflexion dessen, was du in ihnen berührst, anregst oder an Gefühlen und Gedanken auslöst, können sie wiederum vieles über sich erfahren, manchmal noch einmal ganz neu. (Ich entdecke zum Beispiel immer häufiger sehr weiche, berührbare Teile in mir, die bestimmte Texte in mir auslösen – jene Teile, die ich „eigentlich“ gut kenne, aber immer wieder aus den Augen verloren habe.)
Alle drei Aspekte sind eng miteinander verknüpft. Je mehr du über dich beim Prozess des Schreibens entdeckst und verstehst, desto stärker berührst und inspirierst du deine Lesenden, und desto kraftvoller ist deine „Wirksamkeit“. Ich erlebe immer wieder, wie „gut“ Teilnehmende meiner Kurse oder in Einzelbegleitungen bei Buchprojekten schreiben (stilistisch, von der Sprache, vom Ausdruck und von der emotionalen Wirkung her), wenn sie sich Themen öffnen, die sie selbst stark berühren. Je stärker diese Berührung ist, desto kraftvoller werden in der Regel die Texte, und desto stärker sind die Hörenden oder Lesenden bewegt und inspiriert.
Im Verlauf von Buchprojekten – Romanen oder Autobiografien – wird ein spannender Entwicklungsprozess sichtbar, führen uns doch solche Projekte zielsicher an unsere eigenen Grenzen und fordern ebenso selbstverständlich unsere bisherigen Grundannahmen über uns selbst heraus. Ein Buchprojekt konfrontiert dich mit tiefsitzenden Glaubenssätzen („Ich bin nicht gut genug“ oder „Was habe ich schon zu sagen?“), macht all deine unbewussten Vermeidungsstrategien sichtbar (nie ist die Wohnung oder die Wäsche so aufgeräumt und sauber wie in Zeiten, die eigentlich für das Schreiben reserviert sind) und zeigt dir sehr genau, an welchen Stellen du dich noch entwickeln kannst, zum Beispiel, was deinen Selbstwert, dein Durchhaltevermögen, dein Commitment dir selbst gegenüber oder deine visionäre Kraft angeht.
Wenn du deinen „Verstand“ fragst, der auf der Basis deiner begrenzenden Glaubenssätze argumentiert, dann wirst du hören, dass du nichts Wichtiges zu sagen hast. Wenn du dein Herz fragst und auf die Melodie deiner Seele lauschst, dann wirst du eine andere Antwort vernehmen.
Dies alles mündet in eine Frage, die über allem steht:
Wer musst du werden, um dein Buch schreiben zu können?
Oder mit anderen Worten:
- In „wen“ entwickelst du dich beim Schreiben hinein?
- Wer wirst du sein, wenn du dein Buch vollendet hast?
- Welche Entwicklung wirst du hinter dich gebracht haben?
- Wie wirst du innerlich (manchmal auch äußerlich) gewachsen sein?
Sei sicher: Du wirst beim Schreiben einen Teil von dir entdecken, den du lange nicht mehr gesehen hast. Der früher in deinem Leben einmal wie selbstverständlich zu dir gehört hat. Der im Lauf der Zeit immer mehr verdeckt und verdunkelt wurde. Wenn du ihn gefunden hast, wirst du merken, wie sehr du ihn vermisst hast. Es ist deine unbegrenzte Kreativität, deine spielerische Freude, die Strahlkraft deiner inneren Begeisterung, dein riesengroßes Reservoir an Fantasie und freiem Ausdruck sowie dein unbegrenzter Glauben an dich selbst.
Leben geschieht nicht „zufällig“. Dein Leben geschieht nicht „zufällig“. Es hat dir einen Auftrag mitgegeben, den nur du verwirklichen kannst. Um herauszufinden, was dieser Auftrag ist, hilft dir das Schreiben.
Frage dich immer wieder:
„Was versucht gerade, durch mich sichtbar zu werden? Was habe ich mir so lange nicht zugetraut – das ich aber in Wirklichkeit bin?“
Und an dieser Stelle erklärt sich die Frage von oben, denn sie meint in ihrer ganzen Tiefe:
„Wen, der ich eigentlich bin, entdecke ich durch das Schreiben wieder?“
Was folgt, ist die Erkenntnis, dass es nicht darum geht, durch das Schreiben „erfolgreich“ oder „erfüllt“ zu werden – sondern das Erfolgreiche, Erfüllte und Grenzenlose in dir selbst, das bereits da ist und schon immer in dir vorhanden war, wiederzuentdecken und für dich in bewussten Besitz zu nehmen.
Du bist bereits das, was du erhoffst zu werden. Und das Schreiben zeigt es dir.
Durch das Schreiben trittst du in etwas Altes ein, das gleichzeitig ein Gefühl von Aufbruch, Abenteuer, „Neuigkeit“ in dir hervorruft. Es ist lediglich eine Erinnerung an deine wahre Größe.
Es scheint ein Paradox zu sein, und dennoch gehören beide Teile wie die beiden Seiten einer Münze zusammen: Du entdeckst beim Schreiben das ganz neu für dich, was schon immer da war. Du entwickelst dich in etwas hinein, das du seit jeher bist. Es gibt kein größeres Geschenk als das.
Hast du schon mal das Gefühl gehabt, dass „es dich schreibt“? Diesen Zustand völligen „Flows“, bei dem die Worte nur so aus dir herausströmen? Das ist die Qualität, die zeigt, dass du ganz mit dir und dem Leben verbunden bist – und dass es ist nicht deine aktive Aufgabe ist, deine Gaben zu geben: Deine Gaben wollen sich durch dich einfach ausdrücken. Leben geschieht dir nicht, Leben geschieht durch dich. Indem du es zulässt, dass sich dein Innerstes beim Schreiben zeigen kann, gibst du dem Leben die Erlaubnis, sich durch dich zu zeigen. Du bist ein Ausdruck des Lebens. Deine Aufgabe ist, dich dem zu öffnen, dem Leben zu gewähren, dass es sich durch dich entfalten kann. Das ist der Auftrag, mit dem du hergekommen bist.
Leben ist ein Geschenk, und genau das bist du auch für das Leben – und für andere Menschen.
Das Geschenk vergrößert sich, wenn du es teilst. Du bist als eine Antwort für andere Menschen gekommen, die du mit deinem Schreiben berührst. Das, was du in dir gefunden hast, sind die Antworten, die andere suchen. Erinnerst du dich an den oben erwähnten Glaubenssatz „Ich habe nichts zu sagen“? Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Du bist die Lösung, die Inspiration und Ermutigung für andere, die ihnen noch gefehlt hat, um ihrerseits in ihre ganze Kraft einzutreten und ihren Lebensplan zu verwirklichen.
Ich habe dir hier drei Übungen mitgebracht, die in der letzten Zeit vielen Menschen geholfen haben, ihre Perspektive auf ihr Schreiben grundlegend zu verändern.
Übung 1: Warum möchte dein Buch geschrieben werden?
Schreibe einen Text aus der Sicht deines künftigen Buches. Beginne mit „Ich, dein künftiges Buch, möchte unbedingt geschrieben werden, weil …“ – und lass dann einfach alle Gedanken, Bilder und Gefühle, die in dir entstehen, auf das Papier fließen. Es gibt dabei kein „richtig“ oder „falsch“! Lass dich überraschen von dem, was dein Buch dir sagen möchte.
Übung 2: Perspektivwechsel
Diese Übung vertieft die Ergebnisse der vorhergehenden. Stelle dir innerlich vor, dass dein Buch dir gegenüber „sitzt“ – das kann in Buchform sein, aber auch als eine Art Symbol, das für dein Buch steht. Werde still und frage dich/es dann:
- Wozu ruft dich das Buch auf?
- Warum kommt es zu dir?
- Was ist es, das nur du dem Buch geben kannst?
- Was ist die Sehnsucht des Buches, die es sich erhofft, durch dich erfüllt zu sehen?
Es kann sein, dass dir die Fragen komisch vorkommen. Vertraue und lass dich auf den Prozess ein – ich kenne wenig Übungen, die ein gleichgroßes Erkenntnis-Potenzial in sich tragen.
Übung 3: Startritual – deinem Buch ein Versprechen geben
Wenn du weißt, warum dein Buch geschrieben werden möchte, und wenn du dir klar gemacht hast, wer du durch den Schreibprozess werden wirst, verfasse eine Selbstverpflichtung und ein Versprechen an dein Buch.
Beginne mit „Ich [dein Name] verspreche dir, [Arbeitstitel deines Buches], dass ich …“ und ergänze dann jene Dinge, die du erfüllen wirst, damit dein Buch geschrieben werden kann. Das können „Commitments“ Richtung Dranbleiben, Zeit nehmen, Durststrecken durchstehen oder weitere unterstützende Rituale sein. Lass deiner Fantasie freien Lauf! Wenn du magst, „runde“ den Text durch ein schönes Ritual deiner Wahl ab.
Ich freue mich, wenn dir die Anregungen für deinen Weg zu dir und zu seinem Schreiben helfen!
Schreibseminar: https://stefan-schwidder.com/mentaltraining-autoren/