Die Erzählperspektive
In einem Text/Buch können verschiedene Erzählperspektiven gewählt werden. Die Lesenden erfahren je nach Perspektive unterschiedlich viel über bestimmte Elemente einer Geschichte (Innen-/Außenperspektive, also Informationen über das Gefühlsebene der handelnden Figuren/Personen und objektiv beschreibbare Dinge). Mit der Wahl der Perspektive lenken wir somit die Lese-Erfahrungen und steuern die Wirkung des Textes – sie sollte daher von Anfang an gut durchdacht werden.
Es gibt zwei Fragen, durch die sich Perspektive eines Textes bestimmen lässt:
- Wer erzählt die Geschichte?
- Was weiß der Erzähler / die Erzählerin?
Im Folgenden beschreibe ich die vier Haupt-Perspektiven, die in Texten vorkommen:
Die auktoriale (allwissende),
die personale,
die neutrale Erzählstimme,
die Ich-Perspektive.
Dazu gebe ich dir Hinweise zu Perspektivwechseln sowie zu Pespektivfragen in Autobiografien oder Ratgebern.
Wichtig:
Der Autor / die Autorin ist nicht mit der Erzählstimme gleichzusetzen! Das ist besonders für fiktionale Textgattungen wir Romane wichtig, kann aber auch bei autobiografischen Erzählungen zum Tragen kommen – gerade, wenn es sich nicht um eine reine Autobiografie, sondern um eine Mischform wie den autobiografischen Roman handelt, bei dem der Autor / die Autorin zugunsten der Dramaturgie bewusste Änderungen an der Geschichte vornehmen darf.
Die allwissende (auktoriale) Erzählstimme
Diese Perspektive gewährt uns beim Schreiben einen großen Gestaltungsspielraum. Der/die auktoriale Erzähler/in kann in alle handelnden Figuren hineinblicken und aus ihrer Sicht berichten. Er steht quasi über dem Geschehen, kann zwischen Personen und Orten hin- und herspringen und kommentiert, wertet und beurteilt die (Handlungen der) Figuren. Er/sie kann die Lesenden direkt ansprechen, einen fiktiven Dialog mit den handelnden Figuren/Personen führen und Verbindungen zwischen ihnen herstellen, dazu Rückblenden, Zusammenfassungen, Vorwegnahmen oder Vorausdeutungen einsetzen. Diese Perspektive eignet sich auch für ironische Brechungen.
Vorteil:
Die auktoriale Erzählweise ist heute eher ungewöhnlich und bringt dadurch frisches Potenzial mit sich. Außerdem bietet sei Raum für überraschende, oft auch humorvolle Elemente. Dir als Autor*in stehen viele „Spielmöglichkeiten“ zur Verfügung.
Nachteil:
Zwischen der Erzählerin und dem Leser wird eine Distanz erzeugt, so dass im schlechtesten Fall keine Identifikation oder Bindung mit dem/an den Protagonisten entsteht. Außerdem enthält ein Text mit einer auktorialen Erzählstimme manchmal sehr lange, beschreibende Passagen und zu wenig Handlung.
Die personale Erzählstimme
Diese Erzählstimme bedient sich der dritten Person (er/sie). Sie kann in der Regel in eine bestimmte Person hineinsehen und schildert die Geschichte – ohne als Erzähler/in zu kommentieren oder zu werten – aus deren Sicht. Das geschilderte Erleben ist also eng mit der Wahrnehmung, den Gefühlen und Gedanken einer beteiligten Figur verbunden.
Alle anderen Informationen wie Hintergründe oder Details zum Gefühls- und Innenleben der anderen Figuren/Personen können nur indirekt geschildert werden, zum Beispiel, wenn sie über sich sprechen, in der Form von Ahnungen oder Vermutungen oder wenn die Hauptfigur diese Informationen im Laufe der Geschichte auf anderen Wegen erhält. Der personale Erzählstil erlaubt – außer im Dialog der Personen/Figuren– keine Rückblenden oder Vorwegnahmen.
In einigen Fällen wird auch „multiperspektivisch“ erzählt – es wird also aus mehreren Blickwinkeln berichtet und der Schauplatz gewechselt. Diese Variante ist der des allwissenden Erzählers jedoch ähnlich und sollte daher nur mit guter Planung eingesetzt werden.
Eine Variante der personalen Erzählstimme ist die „erlebte Rede“: „Sie schaute aus dem Fenster. Konnte es sein, dass schon Frühling war?“
Vorteil:
Die personale Erzählstimme kommt am häufigsten vor und wirkt daher bekannt und gewohnt.
Nachteil:
Die Lesenden können immer nur so viel wissen, wie die Erzählstimme Preis gibt bzw. das, was auch der Protagonist / die Protagonistin weiß. Gleichzeitig erzeugt dies natürlich Spannung – und ist wiederum ein Vorteil für die Dramaturgie.
Die neutrale Erzählstimme
In der neutralen (oder „objektiven“) Perspektive schildert die Erzählstimme zwar auch in der Er-/Sie-Form, vermittelt aber eher einen distanzierten, unbeteiligten und emotionsarmen Eindruck. Es gibt – wie bei einer Kamerafahrt – nur die Außenbilder, also die Handlungen der Personen/Figuren „zu sehen“, ihre Gedanken und Gefühle werden nicht beschrieben.
In dieser Perspektive nimmt die Erzählstimme weder durch eine allwissende Position Einfluss auf die Handlung, noch kommt über sie die individuelle Sicht einer der beteiligten Personen/Figuren zum Tragen. Dies hat oft einen hohen szenischen Anteil zur Folge, die Geschichte entwickelt sich vor allem anhand von Dialoge oder Monologen und bewahrt so die neutrale, nicht-wertende Qualität.
Vorteil:
Durch die neutrale Perspektive können zudem bestimmte, für die Geschichte relevante Informationen zurückgehalten werden – etwa, um die Lesenden wie bei einem Krimi zunächst im Unklaren über Hintergründe und Zusammenhänge zu lassen.
Nachteil:
Aufgrund ihrer eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeit droht bei dieser Erzählperspektive ein gewisses Risiko für Monotonie (Ausnahmen davon sind natürlich reine Dialog-Formen wie das Drama).
Die Ich-Perspektive
Diese Perspektive ist naturgemäß die subjektivste – mit ihr wird das gezeigt, was die Ich-Erzählstimme der Geschichte erlebt, denkt und fühlt. Sie kennt keine (äußeren) Hintergrundinformationen und kann nicht in die anderen Personen/Figuren hineinschauen. Bewerten und kommentieren kann sie nur, was sie selbst direkt wahrnimmt. Die Lesenden gehen mit dem „Ich“ durch die Geschichte und erleben alles „hautnah“ mit, sind somit emotional direkt beteiligt. Diese Perspektive passt also dann vor allem, wenn in dem Text innere Prozesse Raum bekommen sollen oder das Ziel ist, möglichst authentisch zu erzählen.
Besonderheit:
Der/die Ich-Erzähler/in kann die Lesenden direkt ansprechen oder sich mit ihnen „verbünden“, er/sie weist somit auch auktoriale Züge auf. Weiterhin sind bei dieser Perspektive der „unzuverlässige Ich-Erzähler“ möglich (da wir alle Informationen aus einer Hand erhalten, ist ihr Wahrheitsgehalt nicct überprüfbar) sowie der „innere Monolog“ („Stream of Consciousness“).
Vorteil:
Bei dieser Perspektive ist die Identifikation zwischen den Lesenden und der Erzählstimme groß, dies kann zu einer vertrauensvollen, engen Bindung im Laufe des Textes führen. Die Erzählung wirkt zudem sehr direkt und unmittelbar.
Nachteil:
Da die Geschichte nur aus der Sicht des „Ich“ erzählt wird, können die Lesenden auch nur so das wissen, was das „Ich“ weiß, fühlt oder erlebt, der Erzählspielraum ist somit an manchen Stellen naturgemäß eingeschränkt.
Erlebendes vs. erzählendes Ich
Die Ich-Erzählstimme lässt sich in das „erlebende“ und das „erzählende Ich“ unterscheiden:
Das erlebende Ich ist unmittelbar am Geschehen beteiligt und durchlebt es im Moment des Erzählens selbst. Diese Form ist zum Beispiel für einen Roman in der Ich-Perspektive passend.
Das erzählende Ich berichtet aus der Rückschau über vergangene Ereignisse und Erlebnisse – wie es beispielsweise in der Autobiografie der Fall ist.
Vor allem in einer Autobiografie kann man dabei beide Formen mischen: Der/die Erzählerin berichtet über zurückliegende Geschehnisse, hat aber auch die Möglichkeit, in ausgewählte Situationen „hineinzuspringen“.
Der Perspektivwechsel
Grundsätzlich gilt: Als Autor/in solltest du im gesamten Text die einmal gewählte Perspektive durchhalten! Bestimmte Ausnahmen lassen einen Wechsel der Erzählperspektive jedoch zu:
- Wie eben schon beschrieben, lassen sich in autobiografischen Texten verschiedene Erzählperspektiven verwenden, zum Beispiel Ich (erste Person) – er/sie (dritte Person), Wechsel zwischen erlebendem und erzählendem Ich.
- Eine Geschichte kann aus der Sicht verschiedener Ich-Erzählern geschildert werden.
- Auch um Erzählmuster zu durchbrechen und neue, ungewöhnliche Darstellungsweisen oder Wirkungen zu erzielen, kann es sinnvoll sein, Perspektiven zu wechseln.
Immer gilt dabei:
Perspektivwechsel sollten nur dann eingesetzt werden, wenn sie inhaltlich begründbar und für die Lesenden nachvollziehbar sind. Sei dir also immer erst in einer Perspektive sicher, bevor du beginnst, sie mit anderen zu wechseln.
Perspektive in Sachbüchern/Ratgebern/Autobiografien
Während die auktoriale, neutrale und personale Erzählstimme vorrangig beim Schreiben fiktionaler Texte verwendet werden (Roman, Drama), stehen bei Sachbüchern, Ratgebern oder Autobiografien die persönlichen Erfahrungen, das Wissen und die biografischen Erinnerungen des Autors / der Autorin im Mittelpunkt, daher wird für sie im Allgemeinen die „Ich-Perspektive“ gewählt.
Sie mischt sich, gerade bei Sachbüchern und Ratgebern, oft mit einer direkten Ansprache an die Lesenden (du/Sie), bleibt aber in der Grundform des „Ich“.
In Biografien bietet sich manchmal ein Wechsel von der Ich-Perspektive in die dritte Person, also in die personale Erzählform (er/sie), an:
- Wenn emotional herausfordernden Situationen geschildert werden, in denen durch die Verwendung der dritten Person eine größere Distanz zum Geschehen gewünscht ist oder erzeugt werden soll.
- Wenn ein besonderer Akzent auf bestimmte Textpassagen gelegt werden soll.
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