Wir sind zurzeit gravierenden Schreckensmeldungen ausgesetzt. Zerstörung, Krieg und Ungerechtigkeiten führen schnell dazu, verstärkt Gefühle von Angst, Ohnmacht, Hass, Verzweiflung oder eine betäubende Abstumpfung auszulösen. Themen wie die Flüchtlingswelle lassen tiefsitzende Ressentiments sichtbar werden, die zum Teil in offene Gewalt münden. Sie werden hochemotional diskutiert und spalten unsere Gesellschaft. Ich sehe, wie jeder Einzelne vor immer unüberwindbarer erscheinenden Herausforderungen steht, und es ist leicht zu glauben, dass wir in einer zunehmend feindseligen, gefährlichen und sinnlosen Welt leben.
Vor allem aber habe ich gemerkt, wie schwer es ist, sich emotional aus diesem Feld der Anspannung und der kollektiven Ängste zu befreien und wieder in einen geschützten, ruhigen Innenraum zurückzukehren, wie sehr Bilder von Feindschaft und Ungerechtigkeiten, von Schmerz, Wut, Angst und Leid, auf allen Seiten, sich einbrennen und das eigene Denken und Fühlen gefangen nehmen können. Ich spüre oft, wie eng mich die Ereignisse und Meinungen manchmal machen (und das Wort „Enge“ hat ja den gleichen etymologischen Ursprung wie „Angst“), wie stark von ihnen mein Denken und Fühlen beeinflusst werden – und wie hilflos ich mich oft wiederfinde, wenn ich mich „zu viel“ mit alldem beschäftige.
Was aber können wir tun, ohne unseren Halt, unsere emotionale Unversehrtheit, unsere Balance zu riskieren, ohne uns in sinnlose Schuldzuweisungen, Urteile oder in eine innere Abkehr hineinzubewegen? Was kannst du tun, inmitten des inneren und äußeren Tumults deinen Frieden zu bewahren, deinen Wert im Auge zu behalten und nach ihm zu handeln? Ich weiß, dass wir uns nicht aussuchen können, was passiert – aber wir können nahezu ausnahmslos unsere Haltung dazu anpassen. Die erste Frage, die ich mir in solchen Situationen daher immer stelle, ist:
„Ist das, was ich fühle, denke, sage oder tue stärkend oder schwächend?“
Die Frage hilft mir zu erkennen, ob mir mein eigenes Verhalten – unabhängig von den äußeren Umständen – guttut oder nicht. Bin ich danach entspannt, gelassen, offen, großzügig und tolerant – oder habe ich mich verschlossen, bin gelähmt oder frustriert und spüre in mir den Drang, anzugreifen oder zu flüchten? Ich merke, dass ich hier eine Wahl treffen kann, die nur bei mir liegt – und die mir eine ganz neue Art von Kraft verleiht.
Eine meiner Lieblingsstellen aus dem Buch „Ein Kurs in Wundern“ ist die Feststellung, dass alles, was wir erleben, entweder ein Ausdruck von Liebe ist – oder ein Ruf nach ihr. Hinter den oft heftigen Emotionen verstecken sich zumeist nicht erfüllte Bedürfnisse, zum Beispiel nach Sicherheit, nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach Schutz oder Geborgenheit. Wenn ich das für mich und meine Themen anerkenne, kann ich ganz anders auf jene schauen, deren Verhalten ich nicht mag. Ich finde eine weitere Frage inspirierend:
„Was würde die Liebe in dieser Situation tun?“
Die Dinge auf diese Weise zu sehen heißt nicht, passiv zu erdulden, Unrecht tatenlos zuzuschauen oder Angriffe zu entschuldigen, ganz im Gegenteil: Je mehr ich in meiner eigenen Mitte und Kraft bin, desto besser kann ich entscheiden, was wirklich in jedem Moment am besten zu tun ist. Es entsteht eine innere, sichere Klarheit. Wenn ich meine Ängste und Bedürfnisse anerkenne und verstehe, wie sehr ich mich manchmal selbst von ihnen lenken lasse, entsteht zudem etwas Erstaunliches: Ich kann dann zwar das Verhalten des anderen missbilligen – aber trotzdem auch den Menschen sehen, der dahintersteht und der vielleicht auch einfach verletzt und enttäuscht, ängstlich, verzweifelt oder desillusioniert ist. Ich erlaube mir einzusehen, dass ich seine Geschichte nicht kenne, dass ich nicht weiß, was er durchgemacht hat. „Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin“, sagt schon ein altes Indianersprichwort.
Was tut mir also gut?
Ich habe festgestellt, dass ich öfter in meiner Mitte bin und bleibe, wenn ich es schaffe, vom Kopf ins Herz zu kommen, vom Denken ins Fühlen, von meiner Rationalität ins Mitgefühl (das übrigens niemanden ausschließt – ich halte ein „gegen“ nie für hilfreich). In diesem Loslassen meiner Gedanken und Meinungen, im Erleben dessen, was meine Sinne mir vermitteln, kann ich offen sein für das, was sich mir zeigt. Anstatt zu wissen, wie Dinge sind oder sein werden, lasse ich mich auf diese Weise überraschen von dem, worauf das Leben mich hinweisen möchte. Um aus der Schwere der Gedanken und Ereignisse herauszutreten, ist es von großer Hilfe, sich ausreichend Momente der Entspannung, der Freude und der Ruhe einzurichten.
Übungen für dich
Um vom Kopf ins Herz zu kommen, ist vor allem Erdung wichtig. Es geht darum, das Gedankenkarussell so gut es geht loszulassen, auszusteigen, zu entschleunigen und ins bewusste Wahrnehmen zu kommen. Nutze daher bewusst deine Sinne, geh in die Natur und nimm wahr, was du dort FÜHLST, mache Sport, singe, tanze. Sorge gut für dich und gönne dir ganz bewusst deine persönlichen Oasen zum Auftanken, dein „Nur-für-dich-Sein“, in dem du zu dir kommen, mit dir sein und dich in deiner Mitte und deiner von anderen Menschen oder Umständen unabhängigen Lebensfreude stärken kannst. Lass deine Gedanken, die kommen, so gut es geht dabei los!
Aus dieser Ruhe heraus kannst du schauen, was abseits des dich umgebenden Lärms in dir sicht- und spürbar wird, welche Kraft in dir steckt, welche Güte und welche Klarheit. Mache dir klar, worum es wirklich in deinem Leben geht, was dich hält, wenn Sicherheiten wegfallen und an die Stelle des bekannten das Unerwartete, Überraschende und scheinbar Unkontrollierbare tritt.
Finde heraus:
Wofür bist du hier angetreten? Worum soll es in deinem Leben gehen? Was willst du anfangen mit deiner Zeit und deiner Energie? Was ist dir innerlich „lieb und teuer“? Wofür stehst du jeden Morgen auf? Wofür brennst du wirklich? In welchen Augen blicken hüpft dein Herz? Welche Menschen und Ereignisse haben dich geprägt – und warum? Und, ganz wichtig: Was bereitet dir Freude?
Schreibe deine Antworten auf jeden Fall auf – das bringt dich in eine noch größere Klarheit und Stärke. Verbinde dich mit dem, was du findest. Und spüre, wie du deinen Widerstand und deine Ängste loslassen kannst und innerlich in Frieden kommst – mit dir und der Welt, in diesem Moment. Und wie du Kraft sammelst, um deine Wahrheit und deine Klarheit zurückzugeben und damit dafür zu sorgen, dass diese Welt ein Stück weit zu einem besseren Ort wird.
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Ich habe einmal ein Gedicht geschrieben, dass ich „Ich bin dafür“ genannt habe – ich erinnere mich in diesen Tagen oft daran:
Ich bin nicht gegen Krieg, sondern für Frieden.
Ich bin nicht gegen Hass, sondern für Vergebung.
Ich bin nicht gegen Egoismus, sondern für Mitgefühl.
Ich bin nicht gegen Trennung, sondern für Verständnis.
Ich bin nicht gegen Schweigen, sondern für Dialog.
Ich bin nicht gegen Resignation, sondern für Werte.
Ich bin nicht gegen Feigheit, sondern für Verantwortung.
Ich bin nicht gegen Ohnmacht, sondern für Visionen.
Ich bin nicht gegen Mangel, sondern für Großzügigkeit.
Ich bin nicht gegen Ungleichheit, sondern für Gerechtigkeit.
Ich bin nicht gegen Kälte, sondern für Berührbarkeit.
Ich bin nicht gegen Angst, sondern für Vertrauen.
Ich bin nicht gegen Dunkelheit, sondern für Licht.
Ich bin für Dankbarkeit.
Ich bin für Liebe –
und ich weiß, dass alles in mir beginnt.