Sie wandte sich mir zu. „Es geht nicht darum, dir selbst treu zu sein, sondern in erster Linie, dir überhaupt erst einmal treu zu werden.“
„Wie meinst du das?“
„Finde heraus, was es bedeutet, dir selbst so viel Achtung, Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen, dass du diese Qualitäten nicht bei anderen suchen musst und dabei deine eigene Integrität verrätst.“
„Ich glaube, ich verstehe dich immer noch nicht.“
„Gehe keine Kompromisse ein, wenn deine Sehnsucht dir einflüstert, dass dies der einzige Weg sei, Anerkennung und Zuwendung zu gewinnen.“
Meine Hände spielten mit dem Becher. „Sind Kompromisse nicht aber wichtig?“
„Nur, wenn sie nicht verhindern, dass du der Stimme deines Herzens folgst.“
„Aber wie bekomme ich das hin?“
Sie entzündete einige Kräuter auf der Herdstelle. „Sich selbst treu zu werden heißt, sich selbst ernst zu nehmen in den eigenen Bedürfnissen und Wünschen. Es heißt, nicht nachzulassen, gut für sich zu sorgen und sich selbst das zu schenken, was man von anderen erhofft.“ Ein feiner Duft von Fichtenharz und Wacholder zog zu mir herüber. „Sich selbst treu zu werden bedeutet, absolut ehrlich mit sich selbst zu sein und sich zu ertappen, wenn man von den eigenen Werten abweicht, nur um ein bisschen Liebe oder Anerkennung zu bekommen.“
„Aber ist das nicht eine sehr einsame Geschichte?“, fragte ich zweifelnd.
„Nein. Wenn du dir selbst treu wirst, lässt du jenes friedvoll aus deinem Leben gehen, das sich von dir entfernt – ohne festzuhalten. Nur so wirst du dem begegnen, was auf deinem Weg zu dir gehört.“
„Und wie finde ich genau das?“
„Lass dich von dem finden, was wirklich im Einklang und in tiefer Übereinstimmung mit deinem Innersten ist.“
Ich stellte den Becher auf den Holztisch. „Das hört sich so einfach an.“
„Das ist es auch. Wenn du beginnst, dir treu zu werden, kann es zwar herausfordernd und manchmal vielleicht auch schmerzhaft sein, alten Mustern deine Energie zu entziehen. Und es braucht Geduld, den eigenen Weg beharrlich zu verfolgen, damit du die Illusion kurzfristiger Belohnungen hinter dir lässt. Doch nur so wächst du in das Leben hinein, das sich nach deinem Heimkommen sehnt.“