Was ich mir wünsche
Ich spüre seit längerem, dass mich die aktuell um sich greifende Marketingwelle immer mehr anödet. Gestern war es so weit: Ich erhielt eine Werbe-E-Mail von einem Menschen, den ich ansonsten sehr für seine klugen Worte und sein reifes Empfinden schätze. Ich zuckte wortwörtlich zusammen: Sie sah genauso aus wie jene, die meinen Eingangsordner immer mehr überfluten, und sie sprach im selben Layout und in identischem Inhalt von Conversion-Rates, Umsatzmaschinen und Erfolgsgarantien.
Ich habe mich ausgetragen und sie den Hunderten anderer E-Mails in meinem Papierkorb hinzugefügt, die wie aus dem Discount daherkommen, schablonenartige Inhalte und Formatierungen benutzen (genau, man muss in einer E-Mail IMMER DREI MAL den Link setzen zu „hier klicken, um das nur bis morgen gültige, einmalige Angebot nicht zu verpassen“!), die immer gleichen Versprechen postulieren von „Reichtum über Nacht“, „von null auf 3 Millionen in 10 Monaten“, von lifestyleoptimierten, weltreisekompatiblen Businessmodellen und natürlich mit den besten Affiliate-Tricks, um mit Katzenfutter und Diätpillen Mega-Umsätze zu erzielen und endlich im Lamborghini spazieren fahren zu können.
Mir drängt sich eine Frage auf: Was machen diese Menschen eigentlich, wenn mal der Strom ausfällt?
Was bleibt von ihnen übrig, so als Mensch unter Menschen, wenn sie ihr Selbstverständnis nicht anhand ihrer digital implementierten Erfolgszahlen aufbauen können?
Wenn ich mir die Referenten von Onlinekonferenzen und Internetanzeigen zu Marketingstrategien, Businessaufbau und Sales-Funnel-Trichtern anschaue, beschleicht mich immer die nagende Gewissheit, dass ich mit nahezu keinen von ihnen abends ein schönes Glas Wein trinken und mich über das Leben da draußen unterhalten möchte.
Sicher tue ich mit dem, was ich hier schreibe, einigen Unrecht. Es gibt ein paar wunderbare Beispiele, wie es auch anders geht. Ich schätze sie sehr. Und natürlich sind gewisse Marketingprozesse sinnvoll und richtig, wenn man als Selbstständiger seine Miete und seine Brötchen einigermaßen entspannt bezahlen möchte. Und doch bleibt ein immer erdrückenderes Gefühl von „zu viel“ und „zu wenig“: Zu viel Sprechblasen, zu viel Erfolgsbusinesshype, zu viel Oberfläche und Maske und zu wenig – viel zu wenig! – echte Verbindung, zu wenig ehrliche Begegnung und zu wenig Zeit füreinander, um in die Tiefe zu gehen und den Moment ganz auszuloten.
Vielleicht bin ich ein naiver Romantiker, vielleicht ein hoffnungsloser Idealist. Aber meine Welt stelle ich mir anders vor. Wenn ich ein Bild dafür finden müsste, wäre es der satte Geruch von Erde im Herbst, die Wärme der Hand meines Lieblingsmenschen in meiner, die Sonne auf der Nase und das aufregende Geflatter von verrückten Träumen, wie wir die Welt zu einem besseren Ort machen können, in unseren Herzen.
Ich spüre, wie meine Kraft zunimmt, das Gefühl von Aufbruch und Tatendrang, wenn ich daran denke, neue (oder ganz alte!) Dinge in den Mittelpunkt meines Tuns zu stellen. Ich möchte meine Leute um mich scharen, mich mit Seele und Leidenschaft mit ihnen verbinden und die kühnsten Abenteuer aushecken, die wir uns vorstellen können. Ich möchte mich offen und echt zeigen, mit all meinen Hoffnungen und Wünschen, mit meinen Vorstellungen und Sehnsüchten, mit meinen Fehlern, Schwächen und Unvollkommenheiten. Das darf noch viel mehr die Grundlage meiner Arbeit werden. Ich möchte berührbar sein und bleiben, andere berühren und so meinem inneren Ruf noch besser folgen können, der mir mit untrüglicher Sicherheit die Richtung hin zu echter Erfüllung – und damit zum Fluss natürlicher Fülle – weist.
Ich glaube, dass Vertrauen, Liebe und aufmerksame, wertschätzende Verbindung die besten Marketingstrategien sind.
Ich kehre um und gehe nach vorne. Ich nehme mit, was mir hilft, mein buntes Bild von der Welt, wie ich sie mir vorstelle, zu verwirklichen. Ich bin frei, das zu integrieren, was mich unterstützt, meine Botschaft mit anderen zu teilen. Und ich lasse das los, was nicht länger in Übereinstimmung mit meinem Innersten ist.